Gustav Oelsner wurde als Kind deutscher Juden 1879 in Posen, im damaligen Westpreußen geboren. Nach Beendigung seines Studiums an der Technischen Hochschule Berlin im Jahr 1900 sammelte er bei dem Architekten Max Hasak erste praktische Erfahrungen und wirkte an der Bauleitung beim Bau des Kaiser-Friedrich-Museums mit. 1907 wurde er Stadtbauinspektor in Breslau und 1911 Stadtbaurat in Kattowitz. Er hatte sich als Freiwilliger zur Teilnahme am Ersten Weltkrieg gemeldet, wurde aber nicht genommen, weil er in seiner Funktion als Stadtbaurat bereits als unentbehrlich galt. Seine Laufbahn als Architekt und Städtebauer führte ihn 1922 nach Altona, das damals noch eigenständige Nachbarstadt von Hamburg auf preußischem Staatsgebiet war. In einer Doppelwahl wurden 1924 der Sozialdemokrat Max Brauer zum Oberbürgermeister von Altona und der parteilose Gustav Oelsner zum Bausenator gewählt.
Susanne Wittek zeichnete im KörberForum im Gespräch mit zwei ausgewiesenen Kennern des Werkes und der Biografie Gustav Oelsners die Stationen dieses herausragenden Architekten vom engagierten Städtebauer bis zum erzwungenen Exil nach. Prof. Dr. Peter Michelis, Vorsitzender der Gustav Oelsner-Gesellschaft, führte dabei an die ungewöhnliche Ästhetik von Oelsners farbenprächtigen Hamburger Klinkerbauten und an die sozialen Konzepte hinter Oelsners Wohnquartieren heran, und er schilderte Oelsners Ringen um den bis heute beliebten Elbuferweg. Prof. Dr. Burcu Dogramaci, Kunsthistorikerin an der Ludwig Maximilian Universität München, schilderte Oelsners Leben und Wirken in der besonderen historischen Konstellation, in der die Modernisierung der neu gegründeten türkischen Republik maßgeblich von Verfolgten des Nazi-Regimes geprägt wurde. Stephan Benson las zwischendurch aus autobiografischen Notizen und Korrespondenzen Oelsners.
„Heimstätten für Menschen schaffen, wo Vater und Mutter und die ganze Kinderschar leben könnten, in dem frohen und sicheren Gefühl, da zu sein in dieser Welt und einander anzugehören, im Großen und im Kleinen“, umriss Oelsner einst seine berufliche Aufgabe, indem er aus Ibsens Baumeister Solness zitierte. Revolutionäre Ästhetik verband er mit sozialer Verantwortung, wollte auch für ärmere Bevölkerungsschichten menschenwürdigen Wohnraum schaffen. Damit die Mieten für jene Menschen auch finanzierbar waren, ließ er zum Einsparen von Möbeln teilweise Schränke gleich mit in die entworfenen Häuser einbauen. Den Ideen seines „Neuen Bauens“, die auch von den kubischen und klaren Formen des Bauhausstils beeinflusst waren, machten die Nationalsozialisten 1933 ein Ende. Sie entmachteten und verhafteten den Altonaer Magistrat, erteilten Oelsner ein Berufsverbot und versetzten ihn zwangsweise in den Ruhestand. Einige seiner Gebäude, deren Ästhetik ihnen als „undeutsch“ galt, verunstalteten sie mit traditionellen Versatzstücken.
Buchstäblich in letzter Minute, als die Übergriffe auf Juden 1939 längst von ungebremster Brutalität waren, entschloss sich Oelsner ins Exil zu gehen. Sein langjähriger Freund Fritz Schumacher, ehemaliger Oberbaudirektor von Hamburg, vermittelte ihm eine Stelle bei der türkischen Regierung, die einen deutschen Fachmann für Städtebau suchte. „Das Brot in der Fremde isst sich manchmal nicht leicht“, sagte Oelsner über diese Erfahrungen. Andererseits war er aber überzeugt: „Die beinahe zehn Jahre Türkei sind für mich von unschätzbarem Wert. Ich lernte eine große, einheitliche Kultur rund sehen und damit die deutsche Heimat in den vielen guten, aber auch zweifelhaften Eigenschaften besser erkennen. Ich lernte, was es bedeutet, für das Leben zu planen, lebendig zu bauen.“
Als Professor an der Technischen Hochschule in Istanbul konnte Oelsner sein Wissen und seinen sozial orientierten Ansatz an die nachfolgende Städtebauergeneration weitergeben. Er fasste Fuß in der Türkei und fühlte sich dort zunehmend zu Hause. Dennoch verweigerte er sich 1948 nicht der Bitte des alten Altonaer und neuen Hamburger Bürgermeisters Max Brauer, nach Hamburg zurückzukehren und am Wiederaufbau der zerstörten Stadt mitzuwirken. Auch nach seiner Remigration blieb er der Türkei und ihren Menschen verbunden. Oelsner starb 1956 in Hamburg, wo der Oelsnerring in Osdorf nach ihm benannt wurde.
Die Veranstaltung der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung erfolgte in Kooperation mit der Körber-Stiftung und mit freundlicher Unterstützung der SAGA Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg.
Mitschnitt der Veranstaltung:
Konzept, Umsetzung und Moderation: Susanne Wittek, Agentur Initiative Literatur. Mehr über die Agentur Initiative Literatur finden Sie hier:
www.initiative-literatur.de