Im Rahmen einer Kooperation mit der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung zum Thema ‚Exil‘, widmete sich die Auftaktveranstaltung der Reihe ‚Erinnerung an Hamburger Exilanten während der NS-Zeit‘ im KörberForum dem Schriftsteller und Publizisten Alfred Kantorowicz.
In seiner Begrüßung zitierte Lothar Dittmer, Vorstandsmitglied der Körber- und der Weichmann-Stiftung, das formulierte Ziel aus der Satzung der Weichmann-Stiftung: „Das Wirken der demokratischen Opposition im Exil gegen die totalitäre Herrschaft Hitlers sowie die Folgen dieses Wirkens für Deutschland nach dem Kriege in Erinnerung zu rufen und diese Erinnerung für künftige Generationen zu bewahren,“ und bot Einblicke in den Lebensweg Alfred Kantorowicz’.
Aus drei Zugangsperspektiven näherten sich die Gesprächspartner dem Leben und Werk Alfred Kantorowicz’. Moderiert von Susanne Wittek wurden zunächst mit Hilfe der Expertin und Wissenschaftlerin Dr. Henrike Walter von der W.-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur der Universität Hamburg die historisch wichtigen Stationen seines Lebens beleuchtet. Eine sehr persönliche Perspektive eröffnete anschließend der Weggefährte und Freund Kantorowicz’, Ralph Giordano, der in Begleitung der Witwe Ingrid Kantorowicz erschienen war. Illustriert durch Bilder, Texte und Lesungen aus dem Werk und Nachlass – vorgetragen vom Schauspieler Maximilian Ponader – wurde die Erinnerung an den Menschen Alfred Kantorowicz im ausgebuchten KörberForum wieder lebendig.
„So vernichten sie wollüstig und besessen, was der Größe, der Würde, der Freiheit und der Zukunft des deutschen Volkes gedient, indem sie vermeinen zu vernichten, was die Vergangenheit geschändet und die Zukunft versperrt hat.“, zitierte Maximilian Ponader aus der Rede Alfred Kantorowicz’ vom 10. Mai 1935, die er während seines Exils in Paris anlässlich des ersten Jahrestages der Errichtung der „Bibliothek der verbrannten Bücher“ (Deutsche Freiheitsbibliothek) hielt. Seine Identifikation mit Deutschland und der deutschen Kultur habe Kantorowicz während seiner gesamten Zeit im Exil motiviert, für die Bewahrung und Erinnerung dieser Kultur einzustehen und sich stets als „Exilant mit dem Gesicht nach Deutschland“ zu verstehen, erklärte Henrike Walter. Seinem eigenen Aufruf folgend, habe er sich entgegen dem faschistischen Regime „auf allen Gebieten für die Erkenntnis der Wahrheit über Deutschland und für die Befreiung seines Volkes aus Knechtschaft und Lüge“ eingesetzt. Walter erläuterte weiter, dass aus dem Gefühl der Notwendigkeit zum Widerstand gegen die Verfemung und Verfolgung der Kultur und des von ihm hochgeschätzten intellektuellen deutschen Geistes durch den Nationalsozialismus, seine politische Orientierung am Kommunismus resultiere. Bereits 1931 konnte Kantorowicz als Zellenleiter in der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz in Berlin-Wilmersdorf sein politisches Engagement mit seiner kulturellen Überzeugung verbinden. Hier knüpfte er auch die prägenden Bekanntschaften unter den Linksintelektuellen und Künstlern der Zeit wie Ernst Bloch, Ernst Busch, Walter Hasenclever und Axel Eggelbrecht, die später zu Weggefährten wurden.
Im Exil in Frankreich entstanden 1933 die Tagebuchaufzeichnungen Kantorowicz’, die später unter dem Titel „Nachtbücher“ erschienen, herausgegeben von den Hamburger Wissenschaftlerinnen Ursula Büttner und Angelika Voss. „Wer das durchsteht, ist unverwundbar“, las Maximilan Ponader aus diesem Werk. „Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, in Deutschland zu verrecken. Dort wüsste man wer Feind ist und wer Freund. Dort wüsste man gegen was und wofür man kämpfte. Hier weiß ich das manchmal nicht mehr(…)“. Zu erkennen sei in seinen Tagebuchaufzeichnungen die Aufreibung Kantorowicz’ zwischen der Parteibürokratie und der täglichen Not um die Sicherung der Existenz, sowie die Vereinsamung des Menschen Kantorowicz selbst, erzählte Henrike Walter. Aber auch sein aufklärerischer Impetus und seinem Engagement ein Forum für diejenigen Flüchtlinge zu schaffen, die „ihre Sprache verloren hatten“, werde in den Büchern deutlich. Maximilian Ponader hierzu aus den Nachtbüchern: „Das sind die großen Augenblicke der Emigration. Da wir hungernden Emigranten bemerken, dass wir eine moralische Macht sind, dass wir Geschichte machen und das Beispiel geben.“ Henrike Walter weiter: „Diese Überzeugungen waren es und das Pflichtgefühl, sich für die deutsche Kultur einzusetzen, die ihn nach seinem Exil im Internierungslager „Les Milles“ bei Toulon in Frankreich und später in New York 1946 zurückführten in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands.“ Eines der ersten Projekte Kantorowicz’ in der DDR war die Gründung der Zeitung „Ost und West“, die dann Opfer der Spaltung Deutschlands wurde. „Für den Immigranten war es sehr wichtig, angekommen und wertgeschätzt zu werden.“ so Henrike Walter. Doch sollte ihm das nicht gelingen. Er überwarf sich letztendlich mit dem politischen System der DDR und floh in den Westen, zuerst nach München, dann nach Hamburg. Der Verleger Gerd Bucerius unterstützte ihn finanziell und freundschaftlich und half ihm bei der Anerkennung als politischer Flüchtling.
Kantorowicz’ Weggefährte und Freund Ralph Giordano bot einen tiefen Einblick in seine langjährige Freundschaft zu „Kanto“, wie er ihn vertraut nannte und erzählte über die Zeit in Hamburg. Das erste Mal in Berührung gekommen sei er mit dem politischen Menschen Kantorowicz’ durch die Zeitschrift „Ost und West“ und dem Buch „Sohn des Bürgers“. Dadurch in seiner Orientierung geprägt, trat Giordano 1957 aus der KPD aus. Ihm wurde klar, dass „das nicht die Organisation ist, nicht die Partei, nicht die Idee, die die Welt bewohnbarer machen kann.“ Giordano berichtet weiter, er habe Kantorowicz zum ersten Mal in einem katholischen Hospiz in München getroffen, „umgeben von liebevollen Schwestern – hilflos und körperlich schwach und krank. Und wie man sagt, dass es Liebe auf den ersten Blick gibt, so war es hier Freundschaft bei der ersten Begegnung. Es war eine Seelengemeinschaft, die sofort sichtbar, fühlbar war.“ Berührt von den Erinnerungen an seinen Freund schilderte Giordano von ihrer gemeinsamen Tätigkeit beim NDR in der Ost-West-Redaktion.
Von Susanne Wittek auf die Zeit angesprochen, in der Kantorowicz’ in der BRD, angefeindet wurde – von den Linken als Verräter, weil er die DDR verlies und vom rechts-konservativen Flügel als ehemaliger Kommunist – meinte Giordano: „Kanto hat sein ganzes Leben nach Zugehörigkeit gesucht. Und zwar nach Zugehörigkeit zu Deutschland, so wie ich auch. (…) Wir haben gesucht, nach der ungeteilten Humanitas. Wir haben beide der internationalen Einäugigen angehört mit beiden Fraktionen: die eine ist auf dem rechten Auge blind, die andere auf dem linken und beide verteidigen den Teil der Welt, die sie in dem anderen bekämpfen. Das ist unser großer Irrtum gewesen. Wir glaubten in der KPD und SED Zugehörigkeit gefunden zu haben. Und das ist ein großes Lebensproblem für mich und Kanto gewesen.“ Alfred Kantorowicz habe einmal formuliert, so Susanne Wittek, dass er zwei Irrtümern unterlegen sei: 1. dass Hitler gegen den Willen der Deutschen an die Macht kam und 2., zu glauben, dass er in der DDR die Utopie des Sozialismus verwirklichen könnte. Ralph Giordano schloss seine Erzählungen mit einem abschließenden Zitat Alfred Kantorowicz’ nach Friedrich Hölderlin, das den qualvollen Prozess der Wahrnehmung seiner Lebens-Irrtümer repräsentierte und die enttäuschte Sehnsucht nach Zugehörigkeit widerspiegelte:
„O gäb‘ es eine Fahne, ein Thermopylä
Wo ich mit Ehre sie verbluten könnte
All die einsame Liebe
Die mir nimmer brauchbar ist.“
Mitschnitt der Veranstaltung: