Grete Berges für Weichmann

Ihre Leistungen in Religion seien wenig befriedigend, im Fach Deutsch, also in Lesen, Gedicht, Sprachlehre, Aufsatz und Literatur, hingegen gut. So stand es 1910 im Entlassungszeugnis der Höheren Mädchenschule für die 1895 in Hamburg geborene Grete Berges. Das Zeugnis trug die Unterschrift des Schulleiters und Dichters Jakob Loewenberg.

Nach dem Besuch einer Handelsschule, einer Tätigkeit als Deutsch- und Fremdsprachenkorrespondentin und einer dreijährigen Arbeit als Privatsekretärin des Hamburger Verlegers Richard Hermes begann sie ihre journalistische und literarische Laufbahn. Artikel und Rezensionen erschienen in der „Hamburger Theater-Zeitung“, in der Kulturzeitschrift „Der Kreis“ wie im „Hamburger Fremdenblatt“. Eine von ihr geschriebene niederdeutsche Posse „Grand mit veer“ kam im April 1926 im Hamburger Ernst-Drucker-Theater zur Aufführung. Ihre Begeisterung für die niederdeutsche Literatur schlug sich auch in diversen Vorträgen um 1929 und 1930 nieder.

Ihr literarisches Debüt gab Grete Berges mit ihrem im Frühjahr 1932 erschienenen Buch „Liselott diktiert den Frieden“. Dieses mit Zeichnungen illustrierte Kinder- und Jugendbuch“, dessen Untertitel „Eine Geschichte mit heiteren Zwischenfällen“, spielte in ihrer Heimat, wie es im Vorwort der Autorin hieß: „Aber in Hamburg, da bin ich zu Hause. Dort leben wir, meine Tochter und ich, unweit des lieblichen Alsterflusses, in dem schönen grünen Vorort Eppendorf. Darum spielt unsere Geschichte in Hamburg-Eppendorf“. Das Buch hat Streitigkeiten zwischen Jungen und Mädchen in diesem gutbürgerlichen Stadtteil Hamburgs zum Inhalt: Die Mädchen schließen sich zu einem Bund zusammen, um sich gegen die Bevormundung und die Unfairness der Jungen zu behaupten.

Die Protagonistin Liselotte, auf dem Buchumschlag in lässiger Haltung, in blauer Hose (!) mit moderner Kurzhaarfrisur und roter Kappe zu sehen, „diktiert“ den Frieden zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen und plädiert dafür, dass Jungen und Mädchen ihre kleinlichen Auseinandersetzungen aufgeben sollen.

Gerte Berges‘ Buch erfuhr vielfache Beachtung. Rezensionen erschienen im „Hamburger Fremdenblatt“, der „Vossischen Zeitung“ und im „Berliner Tageblatt“. Schon im Mai 1932 sendete die „Deutsche Welle“, Berlin, einen von der Autorin gelesenen Auszug aus ihrem Jugendbuch. Eine Fortsetzung war geplant, doch die politische Entwicklung unterbrach den erfolgreichen literarischen Start der Autorin.

Seit 1928 und bis zum 1. April 1933, dem Tag des sogenannten „Judenboykotts“ hatte Grete Berges für den Pressedienst der „Norag“, der „Norddeutschen Rundfunk Aktiengesellschaft“ in Hamburg, gearbeitet. Die Norag entließ sie „infolge einer grundsätzlichen umfassenden Neuorganisation“ des Rundfunks, die nach ihren Worten „unrechtmäßige Kündigung“ erfolgte, weil sie Jüdin war. Auch ihr Verlag zog sich von ihr zurück.

Ihre Absicht, in die USA zu emigrieren, zerschlug sich. Im Herbst 1936 verließ sie gemeinsam mit ihrer Tochter Hamburg und zog nach Kopenhagen. Über ihre eigene Emigration schrieb sie später, dass sie sich „als getarnte Touristin zunächst in Skandinavien eingeschlichen“ habe.

Schon von Ausweisung aus Dänemark bedroht, gelang es ihr, 1937 dank der Fürsprache der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf eine Aufenthaltsgenehmigung für Schweden zu erhalten. Stockholm wurde ihr neuer Lebensmittelpunkt. Sie wurde Mitarbeiterin des schwedischen Radios, schrieb für Schweizer Zeitungen und den „Aufbau“, die deutschsprachige Emigrantenzeitung in New York. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich als Übersetzerin, vor allem aber als literarische Agentin. Ein Beruf, aus der Not geboren: „Es ist ein Emigrationsberuf, er unterstand den damals noch sehr strengen Arbeitsgesetzen nicht.“

Sehr bald zählte Grete Berges zu den wichtigsten Kulturvermittlern in Skandinavien. Im Zürcher „Europa-Verlag“ erschienen von ihr übersetzte Bücher schwedischer Autoren. Zu den von ihr betreuten Schriftstellern zählten auch Kinderbuchautoren, deren Werke sie an Schweizer Verlage vermittelte.

Eine rege, auf gegenseitiger Wertschätzung beruhende Korrespondenz verband sie mit dem ebenfalls aus Hamburg vertriebenen Literaturwissenschaftler Walter A. Berendsohn, der wie sie über Dänemark nach Schweden geflohen war. Als er sie zu einer möglichen Mitarbeit im „Freien Deutschen Kultur-Bund“ befragte, antworte sie ablehnend: …ich kann nicht einfach wieder da anfangen, wo ich aufgehört habe. Wie Nelly Sachs, die feine Lyrikerin, so schön sagt, es liegen doch Gräber dazwischen:“ Im „Hamburger Abendblatt“ erschien am 22.7.1953 ihr Artikel „Wiedersehen mit Hamburg“. Auch wenn ihr nach siebzehn Exiljahren vieles vertraut war, antwortete sie klarsichtig auf die selbstgestellte Frage: „Ob ich wieder in der Vaterstadt leben möchte? Der Weg zurück ist mir unmöglich. Trotz allem, was mich anspricht. Die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht völlig bannen.“ Ihr zäher Kampf mit dem Hamburger Amt für Wiedergutmachung um eine finanzielle Entschädigung erlittenen Leids trug das seine zu ihrer reservierten Haltung bei. Grete Berges starb 1957 in Stockholm an einem Krebsleiden. Der New Yorker „Aufbau“ beklagte den Tod seiner Mitarbeiterin, in Hamburg war sie längst vergessen.

Wilfried Weinke

https://www.buecherverbrennung-hamburg.de/

https://www.abendblatt.de/kultur-live/article211600221/Es-ging-nicht-nur-darum-Papier-zu-vernichten.html

https://www.ossietzky.net/5-2010&textfile=935